Wie die Sozialhilfe in Trümmer gelegt wird
Wie heißt es doch: Die Sozialhilfe ist der letzte Anker. Die Absicherung vor dem Absturz. Diese soziale Absicherung zu gewährleisten, ist Kernaufgabe einer verantwortungsvollen Politik. Sie ist essenziell für die Betroffenen und für das Funktionieren einer Gesellschaft. Ein erster Blick auf diese unverzichtbare verantwortliche Politik richtet sich nach
Oberösterreich
Man wird nicht fündig. Der schwarz-blauen Landeskoalition war diese soziale Absicherung immer schon suspekt. Das soziale Netz immer schon zu dicht gewebt. Es ist daher folgerichtig, dass diese Koalition seit Bestehen versucht, Loch um Loch in dieses Netz zu schneiden, es immer durchlässiger zu machen. Durch immer höhere Hürden, immer mehr Kriterien und immer engere Zugänge. Nun steht eine weitere Verschärfung des Sozialhilfegesetzes bevor. Die Maßnahmen sind fixiert. trotz massiver Bedenken von vielen Seiten im Begutachtungsverfahren. Ausschüsse, oder Gesprächsrunden mit LR Dörfel hatten eher Informations- bzw. Alibi-Charakter, ohne Aussicht auf Änderungen. Zwei erreichte Entschärfungen wurden wieder zurückgenommen. Warum diese Verschärfungen vorgenommen werden, ist nicht sachlich, sondern nur ideologisch zu erklären. Die Begründungen von LR Dörfel gehen ins Leere.
Dieses Gesetz ist unnötig
Die Sozialhilfe treffsicherer machen und damit den steigenden Missbrauch verhindern – so begründet LR Dörfel die Verschärfungen. Die Begründung ist substanzlos. Durch die bisherigen Kürzungen ist laut Daten der OÖ.Landesregierung die Zahl der Sozialhilfebezieher:innen von 2021 bis 2024 um 25 Prozent gesunken – von 12.000 auf 9.185. Die Sanktionen wegen mangelnder Arbeitswilligkeit gehen zurück.
Dieses Gesetz bestraft
Die Hilfe soll dort ankommen, wo sie gebraucht wird, man wolle die Leute unterstützen, begründet LR Dörfel. Tatsächlich wird weniger unterstützt als gestraft. § 19 verschärft die Sanktionen massiv – von 10 % auf 30 % / 50 %, und danach vollständige Einstellung. § 7 sieht einen reduzierten Richtsatz von 50 % vor, wenn Arbeitsbereitschaft nicht glaubhaft gemacht wird. Es gibt trotz mehrfacher Forderung in der Begutachtung keine Härtefallregelung. Von LR Dörfel anders dargestellt, gibt es eine Rückgabepflicht nicht nur bei bewusst falschen Angaben, sondern auch bei fahrlässigen unvollständigen oder unbewusst falschen Angaben.
Dieses Gesetz trifft die Kinder
Wir müssen Eltern für ihre Kinder in die Verantwortung nehmen – die Kinder sind nicht betroffen. Begründet LR Dörfel. Das ist falsch. Denn de facto werden werden Familienleistungen aber gekürzt. Wenn die Familie weniger Geld hat, sind dadurch die Kinder klarerweise unmittelbar betroffen. Und das in allen Lebenslagen. Dies widerspricht der der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 27 – Recht auf angemessenen Lebensstandard).
Dieses Gesetz bringt kaum jemanden in den Job
Wir wollen die Menschen durch dieses Gesetz in Arbeit bringen, begründet LR Dörfel. Je rigider das Gesetz, umso eher suchen sich die Leute eine Arbeit, ist die Idee. Dieser seichten Logik stehen aber die eigenen Fakten entgegen: Laut Daten der Sozialabteilung die noch LR Hattmannsdorfer im Jänner 2024 präsentiert hat, ist im Schnitt nur ein Drittel der Sozialhilfe-Bezieher arbeitsfähig und muss damit die Bemühungspflicht erfüllen. Im Umkehrschluss heißt das, 2/3 der Betroffenen sind also gar nicht arbeitsfähig bzw. stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Weil sie Kinder sind, „working poor“ oder Pensionist:innen, die die Sozialhilfe als Aufstockung bekommen, weil sie sonst zu wenig Einkommen haben.
Dieses Gesetz ist verfassungs-, menschen- und datenrechtlich bedenklich
Die vorgesehene Leistungskürzung bis auf null verletzt das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 StGG, Art. 7 B-VG). Durch die Sanktionen werden nicht nur die Kinderrechte (UN-KRK), sondern auch jene von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK, Art. 28) mittelbar verletzt. Datenschutzrechtlich ist § 41 Abs. 7a (Registerabfragen) zu unbestimmt und überschreitet laut Justizministerium und Sozialversicherung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Dieses Gesetz wird teuer
Dieses Gesetz wird etliche auf die Sozialhilfe angewiesene Menschen in noch tiefere Armut, an den Rand der Gesellschaft und darüber hinaustreiben. In Wohnungslosigkeit, Schulden und Krankheit, Sie verschwinden aber nur vordergründig vom sozialen Radar. Es gibt keine Strategie, wie man mit jenen umgeht, die aus der Sozialhilfe hinausfallen. Daher werden Folgen zwangsweise bei Gemeinden, Kinder- und Jugendhilfe, Krankenhäusern und Beratungsstellen wieder sichtbar. Diese haben die Folgekosten zu tragen und damit die fatalen Auswirkungen einer eiskalten Politik.
DIESES Gesetz wäre richtig, gerecht und wirklich sozial
Natürlich ginge es anders, gäbe es einen besseren Weg und ein wirklich gutes Gesetz:
Existenzsicherung als Grundprinzip: Keine Kürzungen unter das Existenzminimum und Schutz des Grundrechts auf menschenwürdige Lebensführung – besonders für Kinder und Menschen mit Beeinträchtigung.
Unterstützung statt Sanktion: Einführung einer Härtefallklausel für besondere soziale und gesundheitliche Situationen. Sanktionen nur nach persönlicher Prüfung durch Sozialarbeit oder Case Management.
Gesicherte Kinderrechte und Bildung: Keine Leistungskürzungen bei Haushalten mit Kindern. Ausbau sozialpädagogischer Unterstützungsangebote statt Strafen und Recht auf Kinderbetreuung als Voraussetzung für Arbeitsaufnahme im Gesetz verankern.
Gesicherter Datenschutz: Registerabfragen nur anlassbezogen und dokumentiert, klare Definition, welche Daten abgefragt werden dürfen und Einführung eines unabhängigen Datenschutzbeauftragten für Sozialhilfeverfahren
Schwerpunkt Prävention und soziale Nachhaltigkeit: Ausbau von Schuldnerberatung, Delogierungsprävention und psychosozialer Betreuung. Förderung von Teilhabeprojekten, sozialökonomischen Betrieben und niederschwelliger Arbeit.
Die Grüne Sozialsprecherin LAbg. Ines Vukajlović:
„Mit Schwarz-Blau ist vor 10 Jahren die soziale Kälte ins Land gezogen. Es wurde immer frostiger und mit dieser Novelle hat die Koalition nahezu den Gefrierpunkt erreicht. Es geht nicht darum zu unterstützen, sondern zu disziplinieren. Nicht das Möglichste zu tun, um zu geben, sondern zu nehmen. Es wird misstraut und kontrolliert, abgelehnt und sanktioniert. Und nicht einmal, weil es sachlich sein muss, sondern man es ideologisch will. Ein gutes Sozialhilfegesetz löst Probleme und verschärft sie nicht. Ein gerechtes Sozialhilfegesetz arbeitet mit Vertrauen, Solidarität und Unterstützung, nicht mit Strafen. Ein wirksames Sozialhilfegesetz bekämpft die Armut und nicht die Armen“.
„Es ist ein durchaus bemerkenswerter Spagat, den die SPÖ in dieser Frage versucht. Die Landes SPÖ stellt sich gegen das Gesetz, wohl um sich von den Sozialorganisationen keine massiven Rüffel einzufangen. Gleichzeitig lobt man Linz und seine Restriktionen, wo die SPÖ den restriktiven Vollzug allzu freudig umsetzt. Dort lobt man das Gesetz, ebenso beim Städtebund. Und im Bund hat man eine Koalition mit der ÖVP, die bei der Sozialhilfe nach Oberösterreich schielt und hier eine Blaupause für ihr Bundesgesetz sieht, die Sozialministerin äußert sich zum Gesetzesentwurf durchwegs positiv. Eine klare Haltung sieht anders aus“.
Bundesweit
Die aktuell veröffentlichten Zahlen aus der Sozialhilfestatistik 2024 veranschaulichen einmal mehr, wie wichtig die Sozialhilfe als „letztes soziales Netz“ gerade in Krisenzeiten ist. 2024 wurden bundesweit 1,3 Milliarden Euro für die Sozialhilfe ausgegeben – weniger als 0,3 % des BIP. Durchschnittlich 205.782 Personen bezogen Leistungen aus der Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung – im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 4,5 Prozent. Trotz steigender Arbeitslosigkeit und hartnäckiger Rezession hält sich der Anstieg in Grenzen. Das zeugt davon, dass unser Sozialstaat (noch) funktioniert und wirkt.
Die zentrale Funktion der Sozialhilfe –Menschen in Armut in ihrer Existenz abzusichern und das für das Überleben Notwendige sicher zu stellen – rückt jedoch mehr und mehr in den Hintergrund. Verfolgt man die politische Diskussion, geht es in erster Linie nur noch darum, Sanktionen zu verschärfen und Leistungen zu kürzen.
Man gibt vor, das alles zu tun, um so unser Sozialsystem weniger attraktiv für Zuwander:innen zu machen. Tatsächlich treffen Kürzungen und Strafen aber alle – unabhängig von Herkunft und Staatsbürger:innenschaft. Und sie treffen vor allem Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Frauen, Alleinerziehende und Kinder.
Kürzungen treffen bereits jetzt armutsgefährdete Familien besonders hart:
Bereits 2025 wurde der Klimabonus – der soziale Ausgleich für die CO2-Bepreisung abgeschafft. Ab 1. Jänner 2026 wird für die nächsten Jahre die Inflationsanpassung bei Familienleistungen – wie der Familienbeihilfe oder dem Kinderabsetzbetrag ausgesetzt.
Alleine diese beiden Maßnahmen bedeuten für Familien ab dem nächsten Jahr Einkommensverluste von mehreren hundert Euro pro Jahr. Diese fallen umso härter aus, je geringer das Einkommen ist, je mehr Kinder man hat und je schlechter die Anbindung an Öffis ist.
Ein paar Beispiele für Oberösterreich (Höhe des Klimabonus entspricht dem Jahr 2025, Verluste aus Nicht-Anpassung Familienleistungen laut Berechnungen des MOMENTUM-Insitituts):
Beispiel 1: Alleinerzieher:in in Wels, 2 Kinder, 2026
Streichung Klimabonus* (1 Erwachsene, 2 Kinder) 390 Euro
Nicht-Anpassung Familienleistungen 165 Euro
Kürzungen gesamt: 555 Euro
*Klimabonus Erwachsene 195 Euro, 2 x Klimabonus Kind 195 Euro
Beispiel 2: Familie in Molln, 2 Erwachsene, 2 Kinder, 2026:
Streichung Klimabonus* (2 Erwachsene, 2 Kinder) 870 Euro
Nicht-Anpassung Familienleistungen 165 Euro
Kürzungen gesamt: 1.035 Euro
*Klimabonus 2 x je 290 Euro Erwachsene = 580 Euro, 2 x Kind 290 Euro
Beispiel 3: Familie in Rohrbach-Berg, 2 Erwachsene, 4 Kinder, 2026:
Streichung Klimabonus* (2 Erwachsene, 4 Kinder) 980 Euro
Nicht-Anpassung Familienleistungen 356 Euro
Kürzungen gesamt: 1.236 Euro
*Klimabonus 2 x je 245 Euro Erwachsene = 490 Euro, 4 x Kind 490 Euro
Dazu kommen weitere bereits beschlossene Sparmaßnahmen der Bundesregierung:
• Die Abschaffung des erhöhten Schulungszuschlags für Sozialhilfebezieher:innen in AMS-Maßnahmen.
• Die von 5,1 auf 6 Prozent erhöhten Krankenversicherungsbeiträge für Pensionist:innen die auch Bezieher:innen einer Sozialhilfe treffen (weil der höhere KV-Beitrag wie von der Ausgleichszulage auch von der Sozialhilfe abgezogen wird und diese reduziert).
• Eine weitgehende Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeiten zum Arbeitslosengeldbezug.
Länder preschen vor und torpedieren bundeseinheitliche Lösung
Die Bundesregierung hat sich im Regierungsprogramm einer Reform der Sozialhilfe verschrieben und im September einen Umsetzungsprozess mit den Bundesländern gestartet. Ziel sind insbesondere auch bundesweit einheitliche Regelungen. Ist das Regierungsprogramm in Sachen Sozialhilfereform schon in vielen Punkten widersprüchlich, unklar und sozialpolitisch bedenklich, ist zusehends fragwürdig, wie diese bundesweite Lösung gelingen soll:
In der Steiermark ist die FPÖ geführte Landesregierung besonders stolz darauf, das härteste und schärfste Sozialhilfegesetz zu haben. Es darf angenommen werden, dass die FPÖ wenig Interesse haben wird, eine Bundesreform nachzuvollziehen, die vielleicht weniger scharf ausfällt.
Selbiges wird wohl für Oberösterreich gelten. Es werden Reformen und Beschlussfassungen in den Bundesländern vorweggenommen – meist ohne Beteiligung der SPÖ, die aber im Bund mitregiert und das zuständige Ministerium stellt:
1. Sozialhilfebezieher:innen sollen in Zukunft stärker unter das schärfere Sanktionsregime des AMS fallen. So sinnvoll es ist, Sozialhilfebezieher:innen stärker ins AMS und in AMS-Maßnahmen zu integrieren, wird eine gute Arbeitsmarktintegration nicht funktionieren, wenn es keine entsprechende Unterstützung, Begleitung und Betreuung gibt, weil bei SH-Bezieher:innen meist multiple Problemlagen (z.B. Schulden, familiäre Situation, Wohnungslosigkeit, gesundheitliche/psychische Probleme) zusammenkommen, und die sich aber weder AMS noch Länder kümmern.
2. Kürzungen fallen drastischer aus, Sperren werden deutlich verlängert – in OÖ um bis zu einem halben Jahr – und auch die neuerliche Beantragung von SH wird in diesem Zeitraum nicht behandelt. Das hat es so noch nicht gegeben und schafft zusätzliche soziale Härtefälle.
3. Leistungsspielräume für Kürzungen werden zunehmend genutzt und ausgereizt. Das betrifft zum Beispiel Zusatzleistungen für Kinder oder Alleinerziehende, wie es in der Steiermark bereits geschieht. Auch die generelle Sozialhilfe wird gekürzt – etwa auf 95 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes – und der Zugang zu Hilfen in besonderen Lebenslagen wird zusätzlich erschwert.
Wenig überraschend ist daher, dass diese Vorschläge auf heftigen Widerstand und Ablehnung der Sozialorganisationen – und auch bei uns Grünen stoßen. Was es stattdessen braucht: eine Reform der Sozialhilfe, die tatsächlich aus dem „letzten sozialen Netz“ ein „Trampolin“ heraus aus Armut, hinein in die finanzielle Unabhängigkeit macht.
Unsere wesentlichsten Grünen Forderungen zu einer Sozialhilfereform sind daher:
– Bundesweit einheitliche Mindestsätze statt Höchstgrenzen – Schluss mit dem Vorpreschen einzelner Bundesländer.
– Ja zu einer stärkeren Integration erwerbsfähiger Sozialhilfebezieher:innen ins AMS – aber mit entsprechender Hilfe, Unterstützung, Beratung und Begleitung zur Bewältigung individueller Problemlagen.
– Eine eigenständige, aus der Sozialhilfe herausgelöste Kindergrundsicherung – bestehend aus Geld- und Sachleistungen.
– Volle Einbeziehung von Sozialorganisationen und Sozialverbänden in die Erarbeitung einer Sozialhilfereform.
Der Grüne Sozialsprecher im Nationalrat, NAbg. Markus Koza:
„Das letzte soziale Netz – das durch die unter türkis-blau beschlossene Sozialhilfe Neu bereits tiefe Risse bekommen hat – droht nun erneut durchlöchert zu werden. Teuerung und die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung setzen besonders armutsgefährdete Gruppen unter Druck: Arbeitslose, Alleinerzieher:innen und Menschen mit niedrigem Einkommen, vor allem Frauen. Statt echter Entlastung drohen weitere Verschärfungen. Der ‚Fleckerlteppich‘ Sozialhilfe, den die Regierung eigentlich vereinheitlichen wollte, wird nur noch größer – und die Bundesländer überbieten sich noch im Wettlauf, wer noch härter, noch schärfer gegen Sozialhilfempfänger:innen vorgeht. Das ist so kurzsichtig wie beschämend zugleich.“