Pervers oder normal?
Von „normal“ und „Hausverstand“ war zuletzt oft die Rede, wenn längst überholte Ansichten über Gendern, Migration oder Klima wieder aufgewärmt wurden. Es sei pervers (lat.: verdreht, abartig), hörte ich, dass ein weiblich empfindender und gekleideter Mensch Märchen erzählt, wenn ihm das Schicksal auch männliche Attribute beschert hat.
Wir begegnen doch häufig auffälligen Personen, die uns irritieren oder zum Nachdenken anregen, ohne dass wir sie gleich für abartig erklären, etwa Betrunkenen, Burschenschaftern, Rockern, Goldhauben, Punks, Kopftuch tragenden Nonnen, Militärs oder Priestern in bodenlangen Kleidern. Sind nicht alle in gleicher Weise Menschen?
Alles für mich individuell Selbstverständliche empfinde ich als „normal“, lehrte ich jahrzehntelang Zivildiener einer Behindertenorganisation. Beeinträchtigt zu sein ist daher für Menschen mit Behinderung normal. Wer anders ist, hat eine andere Normalität als ich. Ich persönlich trinke weder Kaffee noch Bier, interessiere mich nicht für Schifahren oder Fußball, konsumiere nachhaltig, bemühe mich um wertschätzende Sprache, vermeide Flüge und nutze das Auto nur, wenn unbedingt nötig. Gehöre ich also NICHT zur „normal denkenden Mitte“, zur „schweigenden Mehrheit“ oder den „Unseren“, sondern zu den „Anderen“, den „Rändern und Extremen“, wo man Klimademonstrierende in einem Atemzug mit Terrorismus nennt? Habe ich keinen „Hausverstand“? Muss ich Angst haben vor Ausgrenzung und Verfolgung, wenn mehr und mehr solch gefährliche Gedanken und Parteien die Politik beherrschen?
Was ist normal? Wenn fünf reiche Abenteurer mit einem U-Boot zur Titanic ab- und nicht mehr auftauchen, bewegt die halbe Welt selbstverständlich Millionen, um sie zu retten. Wenn hunderte mittellose Menschen auf einem Schiffswrack im Meer treiben – was unternimmt diese Welt, um zu verhindern, dass sie erbärmlich absaufen?
DAS, geschätzte Damen und Herren jeglichen Geschlechts, nenne ich PERVERS!
